Oktober 2015

13 Wochen und alles läuft super! Das kleine Herz schlägt in meinem Bauch und der kleine Wurm bewegt sich munter in mir. Ich fühle mich schrecklich schwanger und ich denke, nun ist es an der Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen… Ein Grillabend mit Freunden… Oh Gott. Sagen wir es? Oder wie macht man das denn so locker wie möglich? Egal. Irgendwie wird das schon klappen. Als ich mein heiß geliebtes Weizenbier ablehne, herrscht plötzlich Stille. Zumindest höre ich nichts mehr. Mmmmh. Ok. Ja. Wie anfangen? „Ich bin schwanger!“. So! Das wars. Kurz und schmerzlos. Und nachdem ich mich aus den unzähligen freudestrahlenden Umarmungen befreit habe, fällt auch all der Druck ab, der sich in den letzten Wochen angesammelt hat. Ich habe Hunger! Und so verbringen wir unseren ersten „offiziell schwangeren“ Abend im Kreis unserer Freunde. Und die ehemalige „Kranke“ ist nicht mehr Teil dieser Welt. Jetzt bin ich die „Schwangere“. Großartig.

Ich bin risikoschwanger. Wie ich dieses Wort schon jetzt hasse. Brustkrebs und alt. Uralt! Ich bin 40. Gefühlte 28, aber machen wir uns nichts vor. Ja, aber es ist ja auch nicht das erste Kind und ich bin eben nicht eine dieser Frauen, die ein Kind wie ein paar Schuhe und die Designerhandtasche in ihr verspätetes Leben schieben, weil es eben so ein nettes Gimmick ist… Falls man überhaupt einen Mann findet, der dann noch Lust hat, mit der Familienplanung anzufangen. Die meisten sind doch dann schon glückliche Familienväter oder schon wieder geschieden mit 14-tägigem Besuchsrecht für ihre Kinder und in der Midlife-Crisis… Ich werde es nie verstehen. Die Natur weiß doch genau, warum sie den perfekten Zeitpunkt für eine Schwangerschaft eben nicht erst nach dem Erreichen des 40. Lebensjahres wählt.

Steffi Berke

Ein Kind zu haben ist doch nicht etwas, was man im Leben als Garantie bekommt. Wer fragt denn dann am Ende das Kind, ob es überhaupt Lust hatte, geboren zu werden? Nur um den Egoismus der Eltern zu stillen, die doch eigentlich immer das Kind als allerletzte Priorität hinten angestellt haben. Aber dann… wenn’s sich so schön leer anfühlt im kalten Herz, dann muss das Kind eben doch noch schnell her. Egal wie. Weil man das halt so macht. Weil es so total „in“ ist, ein Kind zu haben. Hauptsache schön planbar und unkompliziert. Und dann zieht man es an – wie man auch den kleinen Handtaschenhund so schön ausstattet mit Strasshalsbändchen und Mäntelchen – und dann sieht es so niedlich aus. Und dann kann man das Kind so schön präsentieren und gleich schon mal konditionieren für die spätere Rolle in der Gesellschaft der Eitelkeiten. Ich weiß, ich klinge gemein. Und vielleicht bin ich es auch. Aber ich hätte mir nichts sehnlicher gewünscht, als schon viel früher ein zweites Kind zu haben. Und dann kam der Krebs dazwischen. Und dann dieses antrainierte Streben nach Perfektion… Lächerlich! Anstatt mal wieder zu „fühlen“. Wenigstens sich selbst. Ich soll als Frau natürlich schlank sein, und einen Job haben und in dem auch noch bitte erfolgreich sein. Und die Haare dürfen nur noch auf dem Kopf wachsen, dort aber bitte blondiert oder wild gefärbt und die Nägel ganz lang und mit Chemie bepinselt und die Haut becremt mit Hormonen und Parabenen und die Falten werden weggespritzt und zugespachtelt. Und wenn der ganze Wahnsinn dann trotzdem nur Leere und unerfüllte Wünsche zurücklässt… DANN muss das Kind her! Als Lückenfüller und Sehnsuchtsstiller. Falls der mit Chemie zugemüllte Körper dann überhaupt noch kann und will. Aber es darf dann auch nicht wehtun. Und bloß nicht Stillen. Die Brüste müssen ja straff bleiben. Der Kaiserschnitt ist natürlich auch viel praktischer. Geht ja auch so schön schnell und unblutig.

Man könnte ja „menschlich“ sein! Eine Horrorvorstellung! In einer schönen bunten Plastikwelt ist doch die Vorstellung, ein menschliches Wesen zu sein, beängstigend. Und die blöden „prominenten“ Weiber führen uns vor, wie armselig man trotzdem überleben kann. Ich hasse diese Frauen! Und ich hasse sie, weil sie niemals verstehen werden, warum ich sie hasse. Warum ich das Leben so liebe und warum ich ein Mensch sein will? Weil ich es fast nicht bis hierhin geschafft hätte! So sieht es aus. Ich hatte Brustkrebs. Und meine Brüste existieren nicht mehr. Weder straff noch geliftet noch vergrößert noch irgendwie. Und meine Haare sind nach der Chemo einfach nur gewachsen. Und trotzdem bin ich eine Frau! Und was für eine! Eine schwangere Frau! Die sich darauf freut, wie sich ihr Körper verändern wird. Weil ich ein Mensch bin! Ein lebendiger Mensch! Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber man muss es annehmen und das Beste daraus machen. Und sich jeden Tag darüber bewusst sein, dass es ganz schnell vorbei sein kann! Das Leben. Ich lebe! Wieder! Und ich finde es nicht selbstverständlich!

 

November 2015

Beim Radfahren im Fitnessclub wird es langsam anstrengend und ich werde doch tatsächlich auf mein vergrößertes Körpervolumen angesprochen… Wenn die wüssten. Ich finde 4 Kilo Gewichtszunahme jetzt nicht so weltbewegend und trainiere einfach weiter, als ob nichts wäre. Sollen die anderen abgemagerten Tanten doch blöd gucken. Ich bin stolz auf mich und habe nun aber doch etwas Angst, sehr sehr dick zu werden.

Steffi Berke

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